Wappen Sachsen-Anhalt

Auschwitz.

Geschichtswerkstatt Merseburg

Gedenken und Lernen - Gegen das Vergessen

Zeitzeugenberichte

UKRAINE: Ljuba Danylenko und Tanja Pastuschenko Tagebücher im Krieg_5.6. märz 2022

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(Igor Malizki ist Zeitzeuge und Pate des Gymnasiums Querfurt mit dem Titel Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage)

Igor Fedorovych Malizki – ein fast unglaubliches Leben

Herr Igor Malizki ist ein ehemaliger Häftling in den KZ-Lagern Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau, Mauthausen und Linz-3 - später Erfinder, Wissenschaftler, leidenschaftlicher Sammler, Professor der ukrainischen ingenieurpädagogischen Akademie in Charkiw und Vorsitzender des Charkiwer Regionalrates von antifaschistischen Widerstandskämpfern und engagierter Zeitzeuge

Im Juni 2017 wurde Igor Malizki „Ehrenbürger der Stadt Charkiw“. Eine hohe würdige Auszeichnung für sein Leben und das Engagement in der heutigen ukrainischen Gesellschaft.

Seine Studenten nennen ihn anerkennend und fast liebevoll "MIF Nr. 188 005". MIF steht für Malizki Igor Fedorovych und die Nummer hat er in Auschwitz als Häftling eintätowiert bekommen.

Aus seiner Biografie

Er wurde am 12. Februar 1925 in Charkiw geboren.

Er beendete die 8. Klasse und spielte 1941 gerade Fußball auf der Straße, als er hörte, dass der Krieg begonnen hat. Sein Vater - Kommandeur der Roten Armee - wurde schon in 1937 (die Zeit der stalinistischen Säuberungen – Jahre des „Großen Terrors“ in der Sowjetunion) erschossen. Seine Mutter wurde während der Bombardierung verletzt und konnte deshalb nicht evakuiert werden. 21 Tage lang hat Igor seine Mutter auf einem Schlitten von Charkiw nach Kirovograd gezogen, hat sie dort an die Verwandten übergeben und ihr damit das Leben gerettet. 

Im Jahr 1943 wurde er wie Millionen anderer junger Menschen aus Osteuropa nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt. Von dort aus flüchtete er in die Tschechoslowakei. Er wurde verhaftet und in das Gestapo-Gefängnis in der Stadt Kladno gebracht. Dann wurde nach Theresienstadt verbracht.

Von Februar bis Mai 1944 war er im KZ-Lager Theresienstadt inhaftiert. Erneut folgte eine Verlegung. Diesmal in das Konzentrationslager Auschwitz. Von Mai 1944 bis zum August 1944 war er in Auschwitz-Birkenau inhaftiert. Er war Gefangener im Block 17.

Danach folgte die Verlegung in das KZ-Lager Mauthausen in Österreich. Hier war er für einige Monate inhaftiert. Dann folgte erneut eine Verlegung. Seit Dezember 1944 war er im Außenlager Linz-3 gefangen.

Am 5. Mai 1945 hat er gemeinsam mit den verbliebenen Häftlingen (sie sollten auf Todesmärsche) an einem Aufstand teilgenommen und damit an der Befreiung des Lagers aktiv mitgewirkt.

Ein Auszug aus einem Videointerview, gefunden im Internet

https://www.youtube.com/watch?v=1RQIG-0cBpU

"In Linz-3 war ich in einem Kommando, welches draußen verschiedene Arbeiten verrichten musste: Bombentrichter begradigen, Gruben ausheben und so weiter. Eines Tages, als ich kraftlos und müde mit der Schaufel gearbeitet habe, sah mich einer der Aufseher an. Ich ahnte schon etwas Schlimmes und begann schneller zu arbeiten. Er rief mir zu: "Junge, komm mal her!" Ich lief schnell zu ihm, setzte meine Mütze ab und sagte "Jawohl". Er sagte " Sauber machen!" und zeigte um sich herum. Ich habe also begonnen alles rundherum zusammenzukehren und er blieb bei mir stehen. Ich bemerkte, dass er immer wieder eine Zigarette anzündete und die sofort runterfallen lies. Ich habe die Zigaretten aufgesammelt und mir in die Tasche gesteckt. Nachdem ich mit Aufräumen fertig war, und mindestens 5-6 Zigaretten gesammelt habe, sagte der Aufseher zu mir: "Geh weg, geh arbeiten!" Dazu muss ich sagen, dass man im Lager eine Zigarette gegen eine Brotportion eintauschen konnte. Der Aufseher half mir also auf diese Weise."

Auszug aus einem Interview, Internet, Autor Maryna Kostikova

http://storinka.at/blogy/ukrayintsi/ya-hochu-shhob-ukrayina-bula-ukrayinoyu-zustrich-z-igorem-malytskym-u-vidni/

"Ob ich ein Geheimnis für Langlebigkeit habe? Ja, ich befolge vier Gebote: sei nicht gierig, sei nicht neidisch, sei nicht böse und liebe Frauen"

Ein respektvoller Umgang mit Frauen - Müttern, Schwestern, Freundinnen, Töchtern, Ehefrauen oder Kolleginnen ist Igor Malitzki sehr wichtig. Das bringt er auch seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln bei. "

Auszug aus einem Interview, Internet - Autor Volodymyr Malynka

https://dt.ua/UKRAINE/kolishniy-v-yazen-osvencima-ya-znayu-scho-take-viyna-navischo-znovu-pochinati-cey-zhah-163079_.html:

- Einmal fragte mich Papst Benedict XVI, (obwohl er zu der Zeit noch ein Kardinal in Deutschland war), nachdem er die Nummer auf meinem Arm gesehen hat: "Waren Sie ein Häftling in Auschwitz? Haben Sie den Mönch Maximilian Kolbe gekannt?". Ich kannte ihn persönlich nicht, aber ich kannte die Geschichte seines Todes und dass der Papst ihn später heilig gesprochen hat.

Dann fragte mich der Kardinal, welchen Glaube ich habe. Ich antwortete: "Meine Eltern sind orthodoxe Christen und ich bin ein Gottloser."

"Aber warum? - fragte er mich überrascht - Gott hat Sie vor solch einer Hölle gerettet!"

"Ja, ich war in der Hölle auf dieser Welt. Ob es die noch woanders gibt, werde ich später herausfinden. - antwortete ich. Wissen Sie, man stellt die Engel in der Kirche immer als kleine Kinder dar. Die kleinen Kinder sind so jung, so unschuldig, sie wissen nichts, sie sind wirklich wie Engel. Und wo war der Gott, als seine Engel lebendig in den Ofen geschmissen, in Feuergruben verbrannt und in Gaskammern vergast wurden...wo war da der Gott?"

"Aber man kann nicht ohne Gott leben", sagte mir dann der Kardinal.

"Doch“.

„Ich habe einen Gott und das ist die Natur, die uns ernährt und die Frauen, die Kinder unter schweren Leiden zur Welt bringen".

Die nächste Frage des Journalisten:

- Was war das Schrecklichste im Lager für Sie?

- Es war alles schrecklich, aber am Schrecklisten ist die Nummer auf meinem Arm.

- Warum ist die Nummer so schrecklich?

- Das liegt daran, dass mein Vater ein Kavallerist war und wenn das Regiment Pferde bekam, so wurden sie mit der Regimentsnummer markiert. Im Lager erkannte ich, dass ich auch zu einem Tier gemacht wurde."

- Wie haben Sie es geschafft, vier KZ-Lager zu überleben?

- Im Lager haben diejenigen überlebt, die zusammengehalten haben. Wir waren zu siebt: drei junge Burschen, wie ich, und vier Offiziere. Fedor Gromov war der Älteste. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Mit dem Essen, das wir im Lager bekommen haben und der Arbeit, die wir verrichten mussten, war es unmöglich zu überleben. Morgens bekamen wir Ersatzkaffee aus Eicheln und wurden zur Arbeit getrieben. Zum Mittagessen dann eine dünne Suppe. In einem Block wurde die Suppe im Winter von Aufsehern auf den Schnee verschüttet und die Häftlinge wurden gezwungen abzuwarten bis diese festgefroren war, um dann die Stücke davon zu essen.

Zum Abendessen gab es 200 Gramm Brot, wenn man so etwas als Brot bezeichnen kann. 5 Gramm Margarine oder 5 Gramm Pferdewurst. Oder einen halben Teelöffel Marmelade. Kann man damit überleben? Nein.

Ich arbeitete mal im so genannten „Bombenkommando“. Es bestand aus 6-8 Personen und wurde immer von SS-Leuten begleitet und dauerhaft bewacht. Solche Kommandos mussten die Bombenreste beseitigen, die auf das Territorium geworfen wurden. Manche davon waren Blindgänger. In solch einem Fall gingen die SS-Männer dann so weit wie möglich von der Stelle weg aber die Häftlinge arbeiteten in Gruppen weiter. Erst als die Bomben alle ausgegraben waren, rief man die Spezialisten, die diese dann entschärft haben. Die Arbeit war sehr gefährlich. Aber dafür hatten wir getötete Katzen und Hunde um uns herum liegen, ein leckeres Fleisch. Wir brachten es ins Lager und aßen es auf.

Fedor Gromov hat mir einmal das Leben gerettet.

Man brachte uns Essenkübel mit Suppe.

Ich schob gerade eine Schubkarre voll mit Erde beladen auf solchen Holzbrettern. Ich war so entkräftet, dass sie mir aus den Händen gerutscht war. Sie prallte gegen unseren Essenkübel und der wiederum gegen den Kübel mit dem Essen für die SS-Leute. Alles fiel zum Boden. Die SS-Leute schrien: Wer hat es getan? Wer hat es getan? Fedor meldete sich und sagte, dass er es war. Dafür bekam er 25 Peitschenhiebe. Er wusste, dass ich die Bestrafung nicht überlebt hätte, weil ich zu schwach war.

Danach habe ich in einem Steinbruch gearbeitet. Das war eine wahre Hölle. Dort wurden die Häftlinge zu Tode geschlagen und in den Abgrund geworfen. Der Alltag: Morgens gehen 100 Häftlinge zur Arbeit und abends kommt nur die Hälfte davon zurück. Ich arbeitete dort ein paar Tage, dann kam ich zu einem Freund und sagte, dass ich morgen nicht lebendig ins Lager zurückkehren werde. Ich bat ihn, falls er es überlebt, eine Botschaft an meine Familie zu übergeben. Tolja, so hieß der Freund, ging dann zu dem Militärarzt A. Iosylevych, der Mitglied einer geheimen Widerstandsorganisation war. Mit seiner Hilfe bekam ich eine andere Arbeit. So habe ich überlebt - dank der Hilfe von Anderen. "

Ein Interview mit Igor Militzki, Internet, die Seite:

http://antifashist.com

 - Erzählen Sie bitte über Ihre Kindheit?

- Ich wurde in Charkiw geboren und habe auch hier meine Kindheit verbracht. Meine Mutter war Militärärztin, mein Vater war Kommandeur einer Kavallerie-Staffel (er wurde 1934 von der Armee entlassen, im Jahre 1937 verhaftet und erschossen, anschließend dann rehabilitiert.) Von Kindheit an habe ich davon geträumt, ein Offizier zu werden.

- Wie erinnern Sie sich an den Beginn des zweiten Weltkrieges?

- Es war ein herrlicher, sonniger Sommertag, der 22. Juni 1941. Ich hatte die Prüfungen in der Schule in der 8. Klasse bestanden. Meine Mutter war in einem Sanatorium. Wir spielten Fußball vor unserem Haus in der Poststraße.

In einem der Fenster stand ein Radio und spielte Musik und auf einmal hörten wir "Jetzt wird Herr Molotov sprechen!" und danach folgte die Ankündigung über den Beginn des Krieges. In unserem Haus wohnten Veteranen des Bürgerkrieges, deshalb war die erste Reaktion der Menschen - "Wir werden gewinnen, wir werden sie zerschlagen, es wird nicht lange dauern".

Die Stadtbürger bereiteten die Luftschutzbunker vor. Jeden Tag kündigten die Sirenen Fliegeralarm an. Ich erinnere mich an die erste Bombardierung der Stadt im August 1941. Wir gingen gerade in einem Park spazieren, als die Sirenen losgingen. Die Polizei führte uns in einen Keller. Als wir danach rausgingen, sahen wir die Zerstörung um uns herum. Eine Ecke des Hauses fiel runter, ein anderes Gebäude, wo es früher ein Kinotheater gab, war komplett zerstört. An einem anderen Haus fehlt eine ganze Wand, man konnte in die Wohnungen reinschauen. Da stand ein Bett und dort ein Klavier.

- Nahmen die Schüler an der Verteidigung der Stadt teil?

- Unsere ganze Klasse arbeitete in der „Budjonny-Kolchose“. Im Oktober 1941 kamen die ersten Flüchtlinge nach Charkiw und die Stadtbürger begannen die Stadt zu verlassen. Als ich aus der Kolchose zurückkam sah ich, dass meine Mutter krank war. Sie wurde von einem Bombensplitter schwer verletzt und dazu hatte sie eine Lungenentzündung. Die Krankenhäuser waren geschlossen. Mutters Bruder mit seiner Frau wurden nach Nischnij Tagil evakuiert. Ich bin bei der Mutter geblieben, um auf sie aufzupassen. Als die Plünderungen in der Stadt begannen, brachte auch ich eine Kiste Nudeln und ein Stück ranziges Schmalz aus der Kantine nach Hause. Als diese Vorräte aufgegessen wurden, musste ich die Kleidung gegen Essen umtauschen.

- Arbeiteten die Märkte noch in der Stadt?

- Nein, man bekam nichts mehr in der Stadt. Man musste in die Dörfer fahren. Viele Menschen in Charkiw starben an Hunger. So starb ein anderer Bruder von meiner Mutter. Im Januar 1942 haben wir meinen Klassenkameraden Igor und seinen Onkel beherbergt. Sie waren Juden. Aber sie konnten nicht lange bei uns bleiben - eine Nachbarin wollte uns denunzieren, um unsere Wohnung zu bekommen. So mussten wir alle Charkiw verlassen.

Der Winter war fast zu Ende. Ich habe einen Schlitten von guten Menschen bekommen und damit meine Mutter 21 Tage lang zu den Verwandten ins Dorf Andrusivka gefahren.

- Wurden Sie von deutschen Streifwachen angehalten?

- Ich versuchte immer Umwege zu gehen, aber wir wurden trotzdem gestoppt und durchsucht, man hörte die Wachen "Juden? Juden?" schreien. Gott sei Dank, hatten wir unsere Pässe bei uns. Auf dem Weg gaben uns fremde Menschen Essen und halfen uns, womit sie nur konnten.

Ich erinnere mich noch daran, dass wir Ende März die Stadt Kremenchug erreichten und ich mein Hemd gegen einen halben Laib Brot getauscht habe. In Charkiw hätte man dafür nicht mal eine Scheibe Brot bekommen.

Wir mussten in die Rechtsufrige Ukraine gelangen. Über die Brücke konnten wir nicht gehen, wir hatten ja keine Passierscheine. Dann habe ich mich entschieden, den Dnjepr auf dem Eis zu überqueren. Es war am 22. März 1942. Der Schnee reichte mir bis zu den Knien. Ich zog den Schlitten 2 Tage und 2 Nächte bis ich endlich das rechte Ufer erreicht hatte. Dort traf ich meine Landsleute und die brachten uns zu unseren Verwandten.

- Wann versuchte man Sie zum ersten Mal zur Zwangsarbeit nach Deutschland zu bringen?

- Etwa sechs Monate nach meiner Ankunft in Andrusivka schickte man junge Leute von dort nach Deutschland zur Zwangsarbeit. Einheimische Polizisten hatten mich sofort im Visier, da sie wussten dass mein Vater ein Kommunist war. Sie brachten uns mit Fuhrwerken nach Novogeorgijwsk. Dort konnte ich ihnen dann entkommen. Später wurde ich aber wieder festgenommen. Wir sollten von der Stadt Aleksandrija nach Deutschland geschickt werden. Man pferchte uns in den Zug hinein. In Kirowograd suchte ein Deutscher mich und noch einen Jungen aus, um Wasser zu holen. Er selbst ging zum Markt, um dort Eier zu kaufen. Wir flohen natürlich.

Als wir zum dritten Mal festgenommen wurden, brachte man uns für die Nacht in eine Hütte. Wir warteten ab bis der Polizist weggegangen war und sprangen aus dem Fenster. Dann machten wir uns auf den Weg nach Hause, doch in der Nähe von Kirovograd wurden wir von einer deutschen Streife festgehalten und zur Kommandantur gebracht. Wir wurden ins Gefängnis gesteckt, wo sich auch die sowjetische Kriegsgefangenen befanden. Sie waren so erschöpft und hungrig. Am nächsten Tag sollten wir mit dem Freund als mutmaßliche Partisanen erschossen werden. Der Soldat, dem befohlen wurde uns zu erschießen, erwies sich als Lette und sprach Russisch. Wir flehten ihn an, uns freizulassen. Er brachte uns in den Wald und sagte "Lauft los!" Wir rannten weg und er schoss zweimal in die Luft. So haben wir uns gerettet.

Auf dem Weg nach Hause trafen wir Moldauer, die Getreide mit Fuhren überführt haben. Sie haben uns in Säcken versteckt, streuten Getreide über uns und brachten uns so durch alle Kontrollposten bis nach Aleksandrija. Von dort aus ging ich nach Andrusivka durch das Dorf Nikolske. Dort arbeitete meine Mutter als Krankenschwester. Ich ging gerade zur ihr in die Krankenstation und wollte meinen Mantel ausziehen, da kamen plötzlich Polizisten rein und brachten einen verwundeten Deutschen. Meine Mutter hat mich schnell aufs Bett gelegt und mit einer Decke bedeckt.

Die Polizisten fragten meine Mutter:

- Wer ist das?

- Mein Sohn, er hat Typhus.

- Hast du wirklich einen Sohn?

- Ja, er kam aus Andrusivka.

Als sie von Typhus hörten, trauten sie sich nicht, zu mir zu kommen und die Decke zu heben. Ich hatte wieder Glück.

Ich machte mich auf den Weg nach Andrusivka. Unterwegs traf ich meine Dorfmitbewohner. Sie warnten mich, dass man nach mir im Dorf suche. Ich versteckte mich also im Wald und meine Tante brachte mir Essen. Aber dann drohte der Polizist, dass wenn ich mich nicht stelle, werden meine Tante, mein Großvater, meine Großmutter verhaftet und das Haus wird abgebrannt. Ich wurde so gezwungen mich zu stellen.

- Was haben Sie nach der letzten Verhaftung erlebt?

- Ich wurde so stark geschlagen, dass mein Rücken blutete. Diesmal fuhr ich zusammen mit den Kriegsgefangenen. Im Waggon gab es zwei deutsche Wachmänner. In Österreich stiegen sie aus. Wir nutzten die Möglichkeit, rissen den Boden im Wagon auf und sprangen auf die Schienen, da der Zug in den Bergen langsamer fuhr. Dann teilten wir uns in kleine Gruppen, je 2-3 Personen. Wir gingen zusammen mit Tolya Murzai, meinem Onkel aus Andrusivka, er war ein Jahr jünger als ich.

- Es soll schrecklich gewesen sein, in einem fremden Land auf der Flucht zu sein ohne die Sprache zu kennen?

- Wenn ein Mensch nur Hunger und Schlaflosigkeit verspürt dann verschwindet die Angst. In der Tschechoslowakei war es für uns ein bisschen leichter. Die Tschechen gaben uns Essen, übernachten dürften wir bei ihnen aber nicht. Die Deutschen hatten ein tschechisches Dorf zusammen mit Bewohnern niedergebrannt wegen deren Hilfe für Partisanen. (hier scheint es sich Lidice zu handeln – Anm. der Redaktion)

In der Nähe der Stadt Rakovnik wurden wir dann von Gendarmen gefangengenommen und zur Gestapo der Stadt Kladno gebracht. Beim Verhör sagten wir, dass wir von einem grausamen Herrn geflohen waren. Wir nannten sogar ein Dorf in der Nähe, welches wir mal passiert haben. So sind wir im Gefängnis gelandet und von dort aus brachte man uns in das KZ-Lager Theresienstadt. Das geschah im Februar oder März 1944.

- Was war das für ein KZ-Lager?

Terezin (Theresienstadt) war eine echte Festung, umgeben von einem Wassergraben. Auf dem Tor gab es noch eine Inschrift: "Arbeit macht frei", die gleiche sah ich später in Auschwitz. Es gab Zellen mit Holzpritschen und einen Erschießungsplatz im Innenhof. Und aus der Stadt Terezin, die in der Nähe der Festung lag, machten die Deutschen ein jüdisches Ghetto.

- Wieviel Menschen passten in eine Zelle rein?

- Etwa 30 Personen. Der eine davon war ein Pole, alle anderen waren sowjetische Kriegsgefangene. Die Tschechen saßen von uns getrennt. Im Gegensatz zu uns, durften sie Sendungen vom Roten Kreuz und ihren Verwandten empfangen. Morgens standen die Häftlinge in der Schlange um den Ersatzkaffee zu bekommen. Ich kam schnell bei den Tschechen vorbei und bekam ab und zu ein bisschen Essen. Ich lernte ein wenig tschechisch und als sie mich fragten wer mein Vater war, antwortete ich "Major", da sie sich mit unseren militärischen Rängen ja nicht auskannten und die Bezeichnung "Komdiw", also Divisionskommandeur, sagte ihnen nichts. So bekam ich meine Spitznamen. Den kratzte ich sogar in meine Pritsche ein. (wahrscheinlich „Major“ – Anm. der Red.))

- Was haben Sie in Terezin gemacht?

- Mein Platz auf der Pritsche war neben Tolja (Onkel) und noch vier sowjetischen Offizieren. Wir wurden immer zusammen zu einem Arbeitseinsatz am Bahnhof getrieben. Eines Tages kam ein schwarzer Wagen, man holte 5 Kameraden ab und brachte sie zurück ins Lager. Als wir vom Arbeitseinsatz ins Lager zurückkehrten, erzählte man uns, dass diese Kameraden erschossen wurden. Das war kein schneller Tod: man schoss ihnen in die Beine, in die Hände, in den Bauch... Der Sand war völlig mit dem Blut durchnässt.

Dann brachte man einen Juden aus dem benachbarten Block, einen Professor der Prager Universität, und der Aufseher stopfte ihm den Sand in den Mund mit den Worten "Friss das russische Blut, du jüdisches Schwein".

Alle fünf Erschossenen waren sowjetische Offiziere, Mitglieder von Partisanenorganisation. Sie wurden von einer Tschechin denunziert, die eine Geliebte von einem erschossenen Offizier war.

Es wurden auch medizinische Experimente im Lager durchgeführt.

- Wer wurde für diese Experimente ausgewählt?

- Meistens junge Häftlinge und Juden.

- Wie haben Sie das Lager verlassen?

- Am Bahnhof wurden wir zusammen mit Juden in einen Zug getrieben. Wir hatten die Uniform von tschechischen Soldaten mit der Inschrift am Rücken "Kriegsgefangener" an. Deswegen hegten wir die Hoffnung, dass wir gegen deutsche Kriegsgefangene ausgetauscht werden sollten. Aber man brachte uns nach Auschwitz-Birkenau. Dort wurden wir von einem Häftling mit der Armbinde "Kapo" empfangen und ins Lager geführt. Und den Juden wurde befohlen in die Dusche zu gehen. (Gaskammer – Anm. der Red.)

Während wir bis zum Lager gingen, fragte ich diesen Kapo, der ein Pole war:

- Müssen wir auch in die Dusche?

Warte mal ab, dorthin wirst du noch gehen. In die Dusche und dann durch den Schornstein. Er zeigte auf die Schornsteine des Krematoriums, ich habe aber nicht verstanden was das bedeutete.

- Gab es in Theresienstadt keine Gaskammer?

- Nein, gab es nicht. In Auschwitz sah ich diese Gaskammern, in denen die Menschen eine halbe Stunde oder länger mit schrecklichen Leiden vergast wurden. Überlebende, oft kleine Kinder wurden sofort umgebracht. Wenn die Krematoriumöfen mit der Belastung nicht zurechtkamen, gruben wir einen Graben aus, in den man die Menschen zusammen mit Feuerholz geschmissen und in Brand gesetzt hat.

In Auschwitz wurden Menschenversuche von Josef Mengele durchgeführt. Ich wurde auch zum „Versuchskaninchen“ von Doktor Mengele. Er hat mir ein paar Zähne ohne Betäubung ausgerissen und versuchte sie einem anderen Menschen zu implantieren. Danach konnte ich kaum kauen geschweige denn, mit den mir verbliebenen Zähnen beißen. Die Tränen flossen mir aus den Augen, weil ich so einen starken Hunger hatte. Mein Kamerad, Fedor Gromov, aß schnell seine Portion von Steckrüben auf und nahm meine Portion. Er kaute sie durch und gab sie mir dann. Bis heute kann ich nicht verstehen, wie er sowas machen konnte. Der, der keine Hungersnot erlebt hat, kann es nicht nachvollziehen. Wenn ein Mensch hungrig ist, nimmt er alles Essbares in den Mund und schluckt es, weil der Magen und der Körper das verlangen.

- Was für eine Arbeit mussten Sie in Auschwitz-1 verrichten?

- Ich sollte Wasser ins Auschwitz-2 (Frauenlager) bringen. Unserer Block 17. hatte die Aufgabe, das Frauenlager mit Wasser zu versorgen. Als ich zum ersten Mal dorthin kam, fragte ich: "Gibt es hier auch jemand aus Charkiw?" Ein Mädchen antwortete: "Ja". Ich gab ihr dann fast einen ganzen Laib Brot. Lange nach dem Krieg, im Jahr 1979 bei einem Treffen von ehemaligen Gefangenen, traf ich sie. Das war Nina Gudanov in Charkiw.

Eines Tages gaben mir Juden aus unserem Lager ein Betttuch und ich übergab es den Frauen. Sie schlugen sich um dieses Stück Stoff, weil die Armen nichts hatten außer einen gestreiften Kopftuch und einem Kleid.

- Von allen schrecklichen Sachen, die im Lager passiert sind, woran erinnern Sie sich am meisten?

- Ich hatte dort einen Freund - Oberst Fedor Gromov. Er litt an Skorbut, sein Zahnfleisch blutete. Er brauchte wenigstens ein bisschen Grünzeug, aber es gab kein einziges Hälmlein auf dem Lagerterritorium. So kroch ich in die "verbotene Zone", hinter dem Stacheldraht um ein Bündel Gras für den Oberst zu pflücken. Da hörte ich auf einmal einen Schrei vom Wachturm: " Zur Seite, sonst erschieße ich dich!" Der Wachmann sprach Ukrainisch. So traf ich, selbst ein Ukrainer, ukrainische Mitglieder der SS-Division "Galizien", die unser Lager bewachte.

- Wie lange waren Sie in dem Lager?

- Vier Monate, von Mai bis August 1944. Danach wurde ich ins KZ-Lager Mauthausen gebracht. Wir wurden im Wagon so zusammengepfercht, dass man kaum atmen konnte. Diejenigen, die unterwegs starben, blieben weiterhin stehen. Sie konnten ja nicht umfallen. Es gab wohl auch Fälle von Kannibalismus, da es drei Tage lang kein Wasser und kein Essen gab. Ich hatte Glück, ich stand an einem kleinen Fensterchen und konnte meine Hände durchstrecken und den Tau von der äußeren Seite des Wagons sammeln. Kaum noch lebendig kamen wir dann in Mauthausen an. In das Lager der Kategorie 3, das als ein Lager mit den schwersten Arbeitsbedingungen galt. Dort wurden auch Menschenversuche durchgeführt.

- Gab es dort viele unserer Kriegsgefangenen?

- Ich habe dort auch mein Landsmann wiedergetroffen, den Militärarzt 2. Ranges, A. M. Iosilevich. Als wir aus dem Wagons getrieben wurden, hörte ich eine Stimme:

- „Gibt es jemand aus Charkiw?

- Ja, ich bin aus Charkiw! - antwortete ich

- Wo kommst du her?

- Ich komme aus der Postgasse.

- Und ich aus der Klochkovskaja-Straße. Warte hier, ich bringe dir was“.

Und er brachte mir einen Laib Brot und eine Schüssel dickflüssiger Suppe. Das aßen wir mit Tolja sofort auf. Der Militärarzt nahm mich zu sich ins "Revier" mit. Ich wurde Sanitäter und fungierte gleichzeitig als Verbindungsmann zwischen den Blöcken für den Widerstand des Lagers.  Übrigens, Iosilevich rettete Józef Cyrankiewicz das Leben (der spätere polnische Ministerpräsident in 1947-1952 und 1954-1970) in dem er ihm die Nummer eines im Revier verstorbenen Häftlings gab. Dafür wurde Iosilevich nach dem Krieg mit einem polnischen Orden ausgezeichnet.

- Mussten Sie schwere körperliche Arbeit verrichten?

- Zwei Tage musste ich im Steinbruch arbeiten, die Arbeit war so schwer, dass ich am dritten Tag von dort lebendig nicht zurückgekommen wäre. Wieder rettete mich Iosilevich. Es ist ihm gelungen dass man mich ins Außenlager "Linz-3" überführte. Von dort wurden wir zum Arbeitseinsatz ins Hüttenwerk "Hermann Göring" geschickt. Auf Weisung des Widerstandes haben wir dort die Gussformen beschädigt. Danach meldete ich mich zu einem "Bomben-kommando", welches Blindgänger ausgraben musste. Als wir nach der Arbeit ins Lager zurückkehrten, wurden wir nicht durchsucht, so konnte ich alles, was ich dabei fand, tote Katzen, Hunde, manchmal auch irgendwelche Lebensmittel, ins Lager schmuggeln.

- Diese "Funde" haben Ihnen geholfen irgendwie durchzuhalten?

- Ja, ich habe die auch mit meinem Freund, Fedor Gromov geteilt. Er wurde kurz vor der Befreiung erschossen. Vor seinem Tod übergab er mir seine Medaille "20 Jahre Sowjetarmee" und das Abzeichen "Für die Beseitigung des Analphabetismus", die er bis zum Ende sehr behütet hat. Die Medaille habe ich abgegeben und das Abzeichen habe ich später an unser Historisches Museum mit der Beschreibung seiner Geschichte übergeben.

- Wie wurden Sie von den Aufsehern behandelt?

- In unserem Block gab es Häftlinge aus aller Welt. Als ein Deutscher, namens Keise, zum Vorarbeiter wurde, wählte er 100 Personen, nur sowjetische Gefangene, zu seiner Brigade. Bis zu seinem Tod im April 1945 bleiben alle davon am Leben. Er war ein berühmter Krimineller, der eine Bank in Berlin ausgeraubt hatte, darum hatten die Blockältesten und Kapos Angst vor ihm. Er behandelte uns gut, brachte uns sogar die Reste des Abendessens aus der SS-Kaserne.

- Wussten Sie im Lager was an der Front passiert?

- Ja! Erstens, man ständig neue Gefangene: Zivilisten, Kriegsgefangene, besonders diejenigen, die die Flugblätter verteilt haben, ins Lager. Zweitens, wir hatten ja eine Widerstandorganisation. Wir befragten die Neuankömmlinge und verbreiteten diese Informationen. Im Frühjahr 1945 wussten wir, dass die Nazis uns vernichten wollen und bereiteten deshalb einen Aufstand vor.

- Wie haben Sie sich aus dem Lager befreit?

- Am 5. Mai 1945 wurden wir in die Richtung des Steinbruchs getrieben. Zu dieser Zeit wussten wir nicht, dass die Nazis bereits die Gefangenen von Linz-1 in den Stollen gesperrt und gesprengt hatten. Sie hatten vor, uns auf gleiche Weise zu vernichten, um die Spuren ihrer Verbrechen zu verbergen. Wir waren aber schon bereit für einen Aufstand. Der Lagerälteste, ein deutscher Kommunist mit dem Namen Willy, sagte dass wir uns weit wie möglich von den Wachtürmen entfernen müssen. Als wir die Brücke über die Donau überquerten, flogen zwei Flieger mit roten Sternen über uns, eins davon wackelte mit den Tragflächen. Das hat den Menschen Mut gegeben, wir schrien "Zum Kampf! Für die Heimat!". Neben mir ging ein Franzose. Gemeinsam haben wir dann einen SS-Offizier getötet und seine Waffen genommen. Als die Wachen erledigt waren, rannte niemand weg. Nein! Die ganze Kolonne lief zurück ins Lager! Da sprangen die Maschinengewehrschützen von den Wachtürmen. Sie flohen als sie uns sahen. Wir ließen die Kranken und Verwundeten aus den Baracken frei.

- Wo sind Sie nach der Befreiung hingegangen?

- Der amerikanische Geheimdienst, der an dem Tag Linz erreichte, schlug vor, im Lager zu bleiben und auf Verstärkung zu warten. Wir konnten aber keine einzige Sekunde länger hier bleiben und gingen in Richtung Osten, um uns der roten Armee anzuschließen. Nicht weit von Wien entfernt haben wir dann eine deutsche Artilleriebatterie zerstört. Am nächsten Tag, der 6. Mai 1945, trafen wir unsere Panzeraufklärungstruppe.

- Wurden Sie danach überprüft, weil Sie ja in einem KZ-Lager waren?

- Ich wurde zwei oder drei Mal zum SMERSH vorgeladen und befragt. Alle Gefangene von KZ-Lagern haben die Prüfung bestanden. "

Von Mai 1945 bis Juni 1950 leistete Igor Malitzki sein Militärdienst in der Roten Armee in Deutschland und in Österreich ab. Den Militärdienst absolvierte er dann mit dem Rang eines Oberfeldwebel. Derzeit ist er ein Hauptmann.

 

 

 

National-Komitee Freies Deutschland   12. Februar 1945

Frontstab

Erschienen in: „Freies Deutschland“ vom 21. März 1945

Lothar Lösche gehörte als Frontbevollmächtigter des NKFD zu der Division der roten Armee, die am 27.1.1945 Auschwitz befreite (1. Ukrainische Front).

ABSCHRIFT (Exzerpt)

„ Millionen Opfer klagen an!“

Auschwitz – ein Städtchen an der Weichsel, in der Nähe von Krakau – ist zum Begriff geworden, zum Inbegriff aller Verbrechen, die Adolf Hitler und Himmler und ihre ausführenden Organe der SS und Gestapo an Millionen unschuldiger Menschen verübt haben.

Noch weiß es die Welt nicht, was hier geschah. Nur spärliche Nachrichten sind im Laufe der Jahre aus den KZ-Lagern von Auschwitz nach außen gedrungen und ließen nur ahnen, dass hier Millionen hinter Stacheldraht zu Tode gemartert wurden. Aber es befinden sich noch ca. 4.000 ehemalige Häftlinge aus allen Nationen Europas im Lager, zum größten Teil kranke, durch die Vernichtungsmethoden der SS geschwächte und ruinierte Menschen, die durch ein gütiges Schicksal, durch Flucht oder Versteck, hauptsächlich aber durch den überraschenden Vorstoß der Roten Armee dem sicheren Tod entgangen sind. Sie sind die überlebenden Zeugen einer Menschenvernichtungsfabrik, deren Schande zum Himmel schreit.

Es gab zu allen Zeiten Verbrechen, von denen sich die Welt mit Abscheu abwandte. Es gab Christenverfolgungen und mittelalterliche Folterqualen und in der neuesten Zeit erfuhr die Öffentlichkeit von den Todeslagern von Kiew, Odessa, Minsk und Majdanek. Was aber hier in Auschwitz geschah, stellt all das Bisherige in den Schatten.

Kinder und Kindeskinder werden nach uns in den Schulen und aus den Geschichtsbüchern davon erfahren, Generationen werden erschauern vor dem, was der Geist der Unmenschen hier an bestialischen Grausamkeiten ersann. – Und wir Deutschen ? Wie sollen wir je diese Schuld und Schande auslöschen, die Adolf Hitler mit dem Zeichen des Hackenkreuzes und der SS-Rune unserem deutschen Namen für die Zukunft eingebrannt hat?

Wenige Tage, nachdem die deutschen Truppen auf Ihrem Rückzug Auschwitz verlassen haben, komme ich mit einer Abordnung in der Stadt an, um mich persönlich von der Art der dortigen KZ-Lager zu überzeugen. Es gibt in der Umgebung vier große Lager neben einer Reihe von kleineren. Das Lager „Auschwitz Stadt“, dass allgemein als Musterlager gelten sollte, besteht ausschließlich aus zweistöckigen Steingebäuden und gleicht einer riesigen Kasernenanlage, während andere Lager nur dürftige Holzbaracken besitzen. In ihrer Art jedoch, als Stätten zum alleinigen Zwecke der Massenvernichtung von Menschenleben, sind sie untereinander gleich. Über ihrem Eingang prangt groß die zynische Aufschrift „Arbeit macht frei“.

Schreiten wir durch die Pforte des Elends – in das Lager Birkenau, das drei Kilometer von Auschwitz entfernt liegt. Wie eine einförmige Stadt- Holzbaracke an Holzbaracke, eine nach der anderen ausgerichtet, mit Kilometern von Umzäunungen, doppelt gesichert durch Hochspannung und Stacheldraht- breitet sich das Lager vor unserem Blick aus. Schnurgerade Straßen, die sich sämtlich im rechten Winkel schneiden, teilen das Lager in über fünfzig

Abschnitte. Weit im Umkreis ragen in regelmäßigen Abständen warnend und drohend die Wachtürme über die Umzäunung hinaus.

Ich sehe ein Gewimmel von Leuten. Es sind aber nur Schatten von Menschen. Es sind die Scharen von Elenden, ausgehungerte und abgemagerte Frauen und Männer – die Überlebenden!

Hohläugig und verstört blicken sie uns an. Manche lächeln, als ob sie kaum das Glück begreifen könnten, dass sie nun befreit sind. Frauen brechen auf der Strasse in lautes Weinen aus, zeigen uns ihre Wunden und Male, die man ihnen geschlagen hat, weisen auf ihr Haar, das schneeweiß geworden ist, erzählen stammelnd von Leid und Todesqual. Ein Bild des Jammers, das sich uns bietet. Hier spielte sich die Tragödie, das Martyrium von Millionen von Menschen ab.

Lassen wir uns führen und erzählen von einem ehemaligen Häftling, der sich seit dem 6.VI.42 hier im Lager Birkenau befindet. Er ist ein Lehrer aus Radom und fand während seines Aufenthaltes im Lager als Schreiber „Verwendung“. Mit nüchternen Worten berichtet er:

„Ich habe über zwei Jahre alles miterlebt und durch meine Hände gingen die Papiere von Tausend und Abertausend Gemordeten. Sehen Sie, hier ist der Appellplatz eines Lagerabschnittes. Hier standen in Reih und Glied jeden morgen von 4-6 Uhr die Häftlinge zum Morgenappell. Dort in diesem Haus war die SS mit ihren großen Wolfshunden untergebracht“.

„Wozu die Hunde?“ frage ich.

„Die Hunde bewachten uns vom Morgenappell bis zum Abendappell. Eine Bewegung im Glied, wenn wir angetreten waren, oder ein zu langsames Arbeiten draußen im Außenkommando, konnte zur Folge haben, dass man von den aufgehetzten Hunden zerrissen wurde, wenn man nicht so wie so vom Capo totgeschlagen wurde.“

„Wer ist der Capo?“

„Capos sind von der SS eingesetzte Häftlinge, die besondere Vorrechte hatten, sich aber diese Verdienen mussten……

Die Capos hatten ein Kommando im Lager oder auf der Arbeit draußen. Es gab oft Zeiten, in denen der Capo den Auftrag hatte abends zum Appell 50, manchmal 100 Tote zu melden. Die Toten wurden vom Arbeitsplatz wieder zum Appellplatz getragen, bzw. mit LKW herangefahren. Dann wurden sie im Krematorium verbrannt…..“

„Welche Methoden waren es hauptsächlich, durch die man hier diese armen Menschen zugrunde gerichtet hat?“

„Zunächst hat die mangelhafte Ernährung dazu beigetragen, dass der Mensch langsam und zusehends schwach wurde. Früh wurde der Kaffee am Ende des Morgenappells im Stehen eingenommen. Das Mittagessen war nur eine dünne Wassersuppe – pro Mann ein halber Liter. Abends bekamen wir 20g Margarine, bzw. 20g Käse oder Wurst zum Brot und einen halben Liter Tee. Brot gab es 300g am Tag. Sie können verstehen, dass bei einer solchen Verpflegung die Arbeit auf Dauer unserer eigenen Vernichtung diente. Wir mussten von früh 6 Uhr bis abends 6Uhr arbeiten, waren aber hinterher noch stundenlang durch Appelle und anderen Lagerdienst auf den Beinen. Es gab Appelle bis zu 36 Stunden. Unsere Arbeit war zumeist völlig sinnlos, sie war ausgesprochene Schikane. Ich weiß, dass bei Regulierungsarbeiten Häftlinge massenhaft wegen mangelhafter Bekleidung zugrunde gingen. Da es keine Socken gab, rieben sich viele im kalten Wasser offene Wunden an den Füßen. Bei den meisten entstand Phlegmone. Viele gingen an dauerndem Durchfall, an der Ruhr oder an Typhus zugrunde. Krankgeschrieben wurde man erst dann, wenn man umfiel

und hohes Fieber hatte. Krankheit war aber auch gleichbedeutend mit Tod. Es gab zwar große Krankenbaracken, aber jeder wusste: der Weg ins Gas geht übers Spital. Denn wer nicht mehr voll arbeitsfähig war, musste jederzeit mit Tod durch Vergasung rechnen.

Eine andere Art der Vernichtung war der Sport als Quälerei, neben einer Unmasse anderer sadistischer Methoden.

„Sport“ war Strafe z.B. für „verspätetes Heraustreten“, für nicht exakt ausgeführtes Abnehmen und Aufsetzen der Mütze und ähnliche „Vergehen“. Unter der Leitung von SS-Männern mussten wir mit einem schweren Stein in den Händen hunderte von Kniebeugen machen oder im Schlamm kriechen, bis wir oft in Ohnmacht vielen. Dabei erhielten wir mit Knüppeln Schläge auf den Kopf. Es gab Capos, die mit zwei oder drei Schlägen ins Genick einen Mann töteten. Von allen gefürchtet war das sogenannte „Knick-Knack“, das unzählige Male von sadistischen Elementen mit einer teuflischen Freude ausgeführt wurde. Der Häftling musste sich auf den Rücken legen. Quer über den Hals kam ein Spatenstiel zu liegen, auf dessen beide Enden je ein Capo trat, bis das Opfer erstickt war. Dies habe ich aber nicht nur selbst häufig gesehen, sondern Sie können hier jeden ehemaligen Häftling fragen. Jeder hat dies persönlich selbst oft genug erlebt.“

Mir zittern die Knie, als dieser Lehrer aus Radom ununterbrochen mir zahlreiche, andere Einzelheiten über die Methode der Menschenvernichtung berichtet. Grauenhafte, an dieser Stelle nicht zu schildernde Erlebnisse, die mir von anderen Häftlingen hundertfach bestätig wurden….

„Im Sommer 42 kamen große Transporte aus Belgien, Holland und Frankreich, die ebenfalls gleich vergast wurden. Im Frühjahr 43 wurden etwa 50.000 griechische Juden aus Saloniki ins hiesige Krematorium gebracht. Von etwa 16.000 russischen Kriegsgefangenen sind nicht mehr als 96 Mann übrig geblieben. Seit April 1943 wurden in der Hauptsache nur noch Juden vergast….Ab ersten August 1943 brannten die Öfen wieder Tag und Nacht. Riesentransporte von Juden aus Polen, im März 44 aus der Tschechoslowakei und später die Ungarn und die Zigeuner – alle wurden sie mit der gesamten Familie sofort dem Krematorium zur Vergasung übergeben. Die Polen wurden fast durchweg erschossen, besonders die Offiziere. Bekannt war der Block 11, wo der Genickschuss an lebenden Opfern von der SS direkt exerziert wurde. Manchmal wurden allein auf diese Weise am Tag bis zu 200 Menschen getötet. Ja, der berüchtigte Unterscharführer Moll fand besonders Vergnügen daran, Frauen und Kinder als Zielscheibe für Pistolenschiessen zu benützen. So gingen durch die verschiedensten Methoden täglich Tausende zugrunde. Wir hatten Zeiten, wie z.B. im Sommer 1944, wo in jeder Baracke bis zu tausend Menschen zusammengepfercht waren und sich allein im Lager Birkenau 400.000 Menschen befanden. Es kamen aber immer mehr neue Transporte hinzu. Damals arbeiteten die vier Krematorien Tag und Nacht. Der Geruch von verbranntem Fleisch verbreitete sich kilometerweit. Zur Einweihung eines Krematoriums war Himmler selbst anwesend. Probeweise wurden an diesem Tag 14.000 Leichen verbrannt. Nach seinem Besuch wurden die Krematorien erweitert und ausgebaut. Zu bestimmten Zeiten reichten aber auch diese vier Krematorien nicht aus, so dass die Menschen in Gruben auf Teerbalken verbrannt wurden. Am 17. September 1943 war ein Rekordtag, wo 17.000 Menschen vergast und verbrannt wurden. Sonst wurden im Allgemeinen bei Hochbetrieb 12.000 Menschen täglich vernichtet. Die Gesamtzahl der in Auschwitz Gemordeten wird auf viele Millionen geschätzt.“

Mein Begleiter verabschiedet sich von mir. Ich gehe weiter, ohne das eben Gehörte in seine vollen Tragweite und Bedeutung richtig begriffen zu haben. Das alles stürzt über mich herein – zu plötzlich, zu unbegreiflich. Gefühle der Empörung und tiefster Beschämung

überwältigen mich. Alle ehemaligen Häftlinge, mit denen ich noch spreche, vertiefen und vervollständigen durch ihren Bericht diesen Eindruck des Grauenvollen, Unfassbaren. Ganz gleich ob ich mich mit Juden oder Christen, Nationalisten oder Kommunisten unterhalte – sie sagen alle dasselbe. ….

Ich habe Gelegenheit gehabt, mit verschiedenen Ärzten und bekannten Wissenschaftlern zu sprechen, die gleichfalls als Häftlinge in den Krankenbaracken tätig waren. Sie hatten während dieser Zeit Einblick in Methoden, die hier durch Vivisektion wissenschaftlichen Versuchszwecken dienen sollten. Dr. Fischer, Professor und Dozent an der psychatrischen Klinik in Prag, erzählt mir, dass in häufigen Fällen künstliche Phlegmone auf lebenden Menschen gezüchtet wurden. An einer großen Zahl junger Menschen zwischen 18 und 20 Jahren, wurden auch Kastrationen und Sterilisierungen vorgenommen- und zwar nur stufenweise, um festzustellen, in welchem Grad Veränderungen in der menschlichen Drüsenfunktion auftreten. Viele sind auf diese Weise viermal sterilisiert worden, um später – körperlich völlig ruiniert – vergast und verbrannt zu werden.

Bei jungen Männern wurden bei dieser Gelegenheit durch absichtlich unsachgemäße Röntgenbestrahlung schwere Verbrennungen hervorgerufen. Dagegen gibt es bekanntlich kein schmerzstillendes Mittel. Die Männer wurden dadurch geh,- und arbeitsunfähig, infolgedessen wurden sie dann ins Krematorium gebracht. Ferner wurden in zahlreichen Fällen bei Frauen äußerst schmerzhafte Eingriffe vorgenommen, um die Gebärmutter zu photographieren, Experimente am Eierstock auszuführen, an deren Folgen die meisten Frauen und Mädchen starben, oder es wurden zum Zwecke der Krebsforschung, bei Lebenden Krebszellen eingesetzt, Teile der Gebärmutter operativ entfernt und ähnliche Versuche mit lebenden Menschen angestellt. Häufig wurden Menschen von Einspritzung von Phenol, aber auch mit Benzin, Petroleum und Urin getötet. Oft war Dr. Fischer Zeuge, wie man von Leuten mit günstigen Blutgruppen das Blut auffing, bis sie – völlig blutleer – entschliefen, um es dann an die Front oder in Kriegslazarette zum Zwecke der Blutübertragung bei Schwerverwundeten zu schicken. Offenbar spielte hier die Frage - ob arisches oder jüdisches Blut – keine Rolle.

Die Verantwortung für diese gesamten Maßnahmen der Vivisektion, sowie der Vergasung und Verbrennung im Lager Auschwitz trug Dr. Mengele. Dr. Fischer berichtet, dass Dr. Mengele einmal gefragt wurde, wie er das alles mit seinem Gewissen vereinbaren könne, worauf er antwortete:“ Mein Gewissen ist Adolf Hitler!“….

Aber was hatten die Opfer verbrochen? Der bekannte Pharmakologe und Dozent für innere Medizin an der Universität Zagreb, Dr. Max Grossmann, antwortete mir auf diese Frage:

„Als ich von der Gestapo festgenommen wurde, fragte ich auch nach dem Grund, da ich doch nichts verbrochen habe. Man gab mir zur Antwort: „Nein, verbrochen haben Sie nichts! Aber Sie sind doch Jude, genügt das nicht?“…..

Jetzt bin ich in einem großen Raum im Kellergeschoss des Krematoriums. Dort, wo die Menschen zusammengetrieben wurden: Der Auskleideraum! Dann geht es in eine große hell erleuchtete, saubere Halle. Angeblich der Waschsaal. Für die Uneingeweihten sind Aufschriften angebracht: „Vergiss Handtuch und Seife nicht!“ Der Eingeweihte aber weiß: Es ist die Gaskammer, die Leichenkammer. Bis zu tausend Menschen und mehr, so dass sie gerade noch stehen können, werden dort hineingepresst. Die eisernen Türen mit Gummidichtungen schließen sich. In der Decke ist eine Vorrichtung angebracht, durch die von außen her das Cyklongas – HCN – in den Raum strömt. Der Todeskampf währt ca. zehn bis fünfzehn Minuten. Er wird von entmenschten SS-Kreaturen oft genug durch ein gasdichtes Guckfenster beobachtet. Die verzerrten Gesichtszüge der verkrampften Leichen zeugen

davon, wie schwer der Todeskampf war. Dies hängt auch sehr von der Qualität des Gases ab, die oft sehr verschieden ist. Manchmal genügt die Gasmenge nicht einmal, einen Menschen zu töten. Dann wird er eben nur als Bewusstloser verbrannt. Mittels elektrischer Aufzüge werden die Leichen aus der Gaskammer in die Ziegelöfen des Krematoriums gebracht.

Ich stehe an dieser Stätte des Grauens und des Todes, an dem Ort, der noch vor kurzer Zeit die Luft weithin mit Schreien und Jammern sterbender Menschen erfüllte und von dem aus nachts die Brandfackeln des Todes geisternd in das Dunkel des Himmels ragten. Heute ist dort nur noch ein Haufen Schutt und Asche zu sehen. Die Krematorien sind niedergerissen. Das Klagen der Sterbenden ist verstummt.

Um so lauter und deutlicher vernimmst du jetzt die Anklage! Die Überlebenden klagen an! Die Millionen Gemordeter klagen an! Dich und mich! Die ganze deutsche Nation!

Die wahren Schuldigen sind zwar erkannt. Alle Aufschriften des Lagers, alle Inschriften und Dokumente tragen die SS-Rune.

Trotzdem die meisten Deutschen nichts gemein haben mit den teuflischen Werken von Auschwitz und anderen Todeslagern, bleibt aber doch ein Makel an unserem deutschen Namen haften.

Ging diese Saat nicht auf im deutschen Volk? Duldeten wir sie nicht? Nährten wir sie nicht?

„Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät, dass wird er ernten.“

Es ist jetzt die Zeit der Ernte, Tag des Gerichts. Wir, alle Deutschen, sind mitgerufen in die Reihen der Schnitter. Wir müssen selbst die Schande tilgen, die auf uns allen lastet.

Lothar Lösche

NKFD Frontbevollmächtigter